Die Ausstellung Observationen stellt die Frage nach der narrativen Dimension der Fotografie, nach ihrer Rolle als Träger oder Projektionsfläche von Erzählungen. Das fotografische Bild – visuelles Fragment aus der sichtbaren Welt – ist vieldeutig, ein nacktes Faktum, das seines Kontextes bedarf. Oftmals ist es erst ein erläuternder Text oder eine Bildunterschrift, die den Betrachter über die visuelle Faszination hinaus zu einer weiteren Erkenntnis führen. Es gehört zu den aktuellen Spielfeldern junger Künstlerinnen und Künstlern, mit der Kraft, Offenheit und Vieldeutigkeit von Fotografien umzugehen, sie als Träger von unterschiedlichsten Erzählungen zu verwenden oder eben diese Erklärung zu verweigern und den Bildern eine andere Bedeutungsebene und Lesart abzugewinnen.
Die Arbeiten des jungen französischen Fotografen Raphaël Dallaporta sind Ausdruck einer konzeptuellen, politischen Haltung, die mit der Suche nach einer strengen fotografischen Form verbunden ist. Für seine erste größere Werkschau hat er den Titel „Observation“ gewählt und darunter sehr unterschiedliche Serien zusammengestellt: Eine Typologie von Landminen, aufgefasst als formal strenge Sachaufnahmen (die Serie Antipersonnel). Bild-Text-Konstellationen zu Pariser Wohnhäusern, hinter deren alltäglichen Fassaden moderne Formen der Ausbeutung und Sklaverei stattfinden (die Serie Domestic Slavery). Quasi-medizinische Fotografien von menschlichen Organen, deren Körper zumeist eines unnatürlichen Todes gestorben sind (die Serie Fragile). Luftaufnahmen von historischen Stätten inmitten der politischen Landschaft Nordafghanistans – aufgezeichnet von einer auf einen Lenkdrachen montierten Kamera (die Serie Ruins).
Was diese Arbeiten verbindet ist die Tatsache, dass sie ihren Gegenstand aus seiner jeweiligen Verborgenheit herausholen und ihn sichtbar machen. Der Skandal der Landminen liegt in ihrer mörderischen Unsichtbarkeit, die noch Jahre nach Ende eines Kriegs fortwirkt. Ausgangspunkt von Dallaportas Serien ist stets eine umfassende Recherche zu den Hintergründen. So stammen die Landminen aus der Sammlung einer militärischen Ausbildungseinheit in Angers. Der Fotograf inszeniert diese ungesehenen Waffen, als wären sie seltene ethnografische Objekte – in einer formalen Stringenz, die an eine Werbekampagne erinnert. Doch er belässt es nicht bei der Fetischisierung seiner spektakulären Funde und liefert in knappen Worten ihre Geschichte nach. In seinen Serien verschmelzen somit Fotografie und Texte zu etwas Neuem.
„Observationen“ heißt der Titel unserer Ausstellung, in der Dallaportas Arbeiten um eine neue Werkreihe von Jens Klein ergänzt ist. Der Leipziger Fotograf hat in Hundwege. Index eines konspirativen Alltags Fotografien als serielle Bildfolgen zusammengestellt, die er in der Stasi-Unterlagenbehörde gesichtet hat. Entkleidet von ihrem ursprünglichem Kontext, ohne die Informationen des Spitzels, der diese Snapshots aufgenommen hat, offenbaren die Fotos auf den ersten Blick die komisch-triviale Qualität der Überwachung: Die observierten Regimefeinde beim Ausführen der Hunde oder ein Briefkasten, beobachtet mit einem Teleobjektiv. Doch Jens Klein kappt die informativen Bezüge, die zur Entstehung der Fotos führten, und liest die Aufnahmen auf andere Weise. Die Unschärfe der Bilder ist der „Realitätseffekt“, ein verbliebener Hinweis auf die Heimlichkeit der Bildentstehung. Andere Details sichtbarer Wirklichkeit haben sich in die verwackelten Aufnahmen eingeschrieben, etwas, was der Künstler den „konspirativen Alltag“ nennt. Was ihn in den Fotografien an seine eigene Kindheit und Jugend erinnern mag – die Kleidung und Bewegung der Leute, die Rituale des Hundeausführens, Motorradfahrer – erscheint ihm als das eigentlich Bemerkenswerte, jenseits des inkriminierten Blicks, der zu ihrer Entstehung führte.