CEEHIILNPSSWZ*
ACH MENSCH

Ina Hengstler | Mona Lisa Hesse | Kodac Ko | Jie Jie Ng | Shusuke Nishimatsu | Erik Arkadi Seth | Felix Helmut Wagner

Eröffnung: Mittwoch, 07.06.2017, 19 Uhr
*Zwischenspiel

 

Die Ausstellung »CEEHIILNPSSWZ. ACH MENSCH« im Museum für Photographie vereint sieben künstlerische Positionen von Studierenden und Absolventen der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig. Das »Zwischenspiel« ist ein Ausstellungsformat des Museums für Photographie Braunschweig, das jungen künstlerischen Positionen und Ansätzen Raum auch für experimentellere Auseinandersetzungen mit dem Medium Fotografie bietet.

Der diesjährige Titel der Ausstellung »CEEHIILNPSSWZ. ACH MENSCH« bezieht sich als Alphagramm des Wortes „Zwischenspiel“ auf die Ordnung/Nicht-Ordnung menschlicher und gesellschaftlicher Strukturen und stiftet gleichzeitig Verwirrung. Der Titel sollte als Anregung und Ausgangspunkt zu Überlegungen über das Menschsein dienen. In einer offenen Ausschreibung wurden aus knapp 50 Bewerbungen Arbeiten von sieben Künstlerinnen und Künstlern ausgewählt, die unterschiedliche Aspekte der Ausstellungsidee repräsentieren und in verschiedenen Medien anschaulich werden lassen.

Ina Hengstler (*1988 in Braunschweig, DE, lebt in Frankfurt a.M.) widmet sich dem Ordnen und Sortieren von Dingen aus der Natur. Sie fotografiert Archive, Naturhistorische Museen und deren Depots und hinterfragt dabei die inhaltliche und ästhetische Präsenz der Ordnungssysteme, die der Mensch geschaffen hat, um Natur-Dinge in Sinnzusammenhänge zu stellen. Dies wird nicht zuletzt auch in der starken Inszenierung ihrer Schwarz-Weiß-Fotografien deutlich. Ihre Fotografien werden selbst zu Sammlungsstücken, zu Objekten, die anders als Dinge in Naturhistorischen Museen, nicht der Wissensvermittlung dienen, sondern unterschiedliche Deutungsebenen bieten. Auf poetische, manchmal humorvolle Weise eröffnet Ina Hengstler alternative Erzählungen und neue Assoziationen und damit einen alternativen Blick auf das Chaos Welt.

Die Arbeit Das nullte Bild von Mona Lisa Hesse (*1990 in Hannover, DE, lebt in Hannover) zeigt Fotografien, die eigentlich nicht sein sollten. Auf Negativstreifen, die in alten Fototaschen im Keller ihrer Familie lagerten, entdeckte Hesse verwaschene Bilder, von denen es keine Abzüge gab. Es sind Bilder, die beim Einlegen und Weiterspulen eines Kleinbildfilms entstehen. Meistens werden sie überbelichtet, Filmhersteller markieren sie daher häufig mit der Zahl 0. Im Labor werden sie nicht abgezogen. Nach diesen Bildern hat Hesse gesucht. 25 „Nullte Bilder“ hat sie gefunden, abgezogen und zu einer Arbeit zusammengefasst. Es sind Zufallsbilder, Bilder ohne Absicht, die Grundprobleme der Fotografie offenlegen: Sind sie aus sich heraus evident oder artifiziell? Entstehen sie aus sich heraus, oder werden sie gemacht? Geben sie nur die Welt wider oder tragen sie Botschaften eines Autors in sich? Welche Botschaft soll ein Bild haben, das gar nicht bewusst gemacht wurde? Welche Bedeutung kann der Zufall haben? Weiterhin sind die Bilder unbeabsichtigte Erinnerungsstücke, die Spuren der Vergangenheit transportieren.

Auch für Jie Jie Ng (*1977 in Singapur, SGP, lebt in Braunschweig) ist der Zusammenhang von Fotografie und Erinnerung Thema ihrer Arbeit. In ihrem Film Details of Time (2014) geht sie auf die Suche nach Erinnerungen. Der Fotofilm besteht aus rund 40 Fotografien, die Ng in ihrem Elternhaus aufnahm. Für den Film öffnete sie Schubladen und fotografierte deren Inhalte, findet dabei Weggeräumtes, Vergessenes, Sortiertes und zufällig Zusammengeworfenes. Diese Fundstücke werden durch die Fotografie gerahmt und in ein zusammenhängendes Bild verwandelt. Durch das Aneinanderordnen der Bilder im Film entsteht eine Geschichte, die durch die Geräusche der fotografierten Dinge lebendig wird. Wie Erinnerungsfetzen tauchen die Bilder und deren Töne auf und verschwinden wieder.

Kodac Ko (*1986 in Jeju, KOR, lebt in Braunschweig) heißt eigentlich Hyunjung Ko (고현정). Seit sie 2010 für ihr Studium nach Braunschweig kam, hat sie ihren koreanischen Spitznamen „Kodac“ zu ihrem Rufnamen erklärt, um es den Leuten leichter zu machen. Genau diese persönliche Erfahrung ist der Ausgangspunkt für ihre neue Arbeit N.A.M.E. (2017), für die Ko zwanzig geflüchtete Menschen bat, ihren Namen nach der Deutschen Buchstabentafel in ihre Videokamera zu sprechen. Entstanden ist eine mehrteilige Videoinstallation, die das Zusammenspiel von Sprache, Herkunft, Identität und deren Übersetzbarkeit auf komplexe Weise reflektiert. N.A.M.E. ist zudem Kos Diplomarbeit, mit der sie ihr Studium an der Hochschule der Bildenden Künste Braunschweig abschließt. Die Umsetzung der Arbeit wurde durch die Unterstützung der Bürgerstiftung Braunschweig ermöglicht.

Mit der Serie Alps/Schweizer Alpen (2017) zeigt Erik Arkadi Seth (*1986 in Gifhorn, DE, lebt in Gifhorn) eine neue fotografische Arbeit. Die etwa 100 Farbfotografien, aufgenommen mit (teilweise abgelaufenem) Kleinbild-Filmmaterial, die Seth in seiner Wohnung in einer provisorischen Dunkelkammer entwickelte und später digitalisierte, zeigen etwa 100 Ansichten von Wäldern, Bergen und Hütten in den Schweizer Alpen. Die Aufnahmen pendeln zwischen Faszination und Langeweile und können in ihrer leicht rosa Tönung auch als Flucht vor der Wirklichkeit in ein beschauliches Idyll gelesen werden.
Anlass für die zweite im »Zwischenspiel« gezeigte Arbeit, Tokio (2012), war ein Fehler in einem Online-Buchungssystem, der es Erik Arkadi Seth ermöglichte, im September 2012 überaus günstig innerhalb eines Tages von Rom nach Tokio und zurück zu fliegen. Während seines fünfstündigen Aufenthalts kaufte er sich bei McDonalds eine CocaCola. Die Absurdität der Aktion, die durch einen Fehler im virtuellen Internet ermöglicht wurde und unser heutiges Reiseverhalten ebenso wie die Möglichkeit, überall hinreisen zu können, persifliert, manifestiert sich in der Postkarte, die als Souvenir der Aktion zur Mitnahme in der Ausstellung »CEEHIILNPSSWZ. ACH MENSCH« ausliegt. Sie zeigt den Kassenzettel des CocaCola-Kaufs, der für die meisten Betrachter ein abstraktes Bild darstellt und aus dem nur das McDonalds-Logo als eindeutig und universell lesbares Zeichen hervortritt.

Unerbittlich schlägt das Metronom in der Videoarbeit URBA (2015) von Felix Helmut Wagner (*1987 in Erlangen, DE, lebt in Braunschweig). Der Künstler selbst hat es aufgestellt, um im Takt an einem Tisch sitzend Teig zu kneten, Kugeln und Kreise zu formen. Wiederholt wird dies viermal: vor einer Grafittiwand, auf einem Spielplatz, im Schwimmbad und auf dem Friedhof. Die redundante Tätigkeit wird zur Metapher für einen Hamsterrad-Alltag – Frühstück, Arbeit, Mittagessen, Heimweg, Schlafen gehen. Wagner versteht die Videoarbeit als „Spiegel des urbanen Rhythmus“. Gibt es daraus kein Entrinnen?
Gesellschaftliche Systeme und deren vermeintliche Unabänderlichkeit sind wiederkehrende Themen in Wagners Performances und Videoarbeiten. Durch Wiederholung und Übertreibung führt er diese ad absurdum. Dabei sind seine Arbeiten durchaus optimistisch, denn sie glauben an das revolutionäre Potential von Kunst, Systeme aufzubrechen und zu verändern. Im »Zwischenspiel« wird er neben URBA eine weitere, bislang unveröffentlichte Videoarbeit, und zur Eröffnung eine Performance zeigen.

Für die Arbeit Paper Space (2016) von Shusuke Nishimatsu (*1988 in Gifu, JPN, lebt in Braunschweig) baute der Künstler aus seinem Pass, seinem Mietvertrag, seiner EC-Karte und seiner Krankenkassenkarte Kartenhäuser und fotografiert sie aus verschiedenen Perspektiven. Die daraus entstandene 90-teilige Wandarbeit reflektiert die bürokratischen Systeme, die der Mensch geschaffen hat und die Voraussetzung für ein Leben innerhalb unserer Gesellschaft darstellen – denn, was passiert wenn man ein Element daraus wegzieht?
Ebenso subtil in der Darstellung und stark in ihrer Aussagekraft ist die Arbeit Stranger (2011): Sie zeigt einen Moskito, den Nishimatsu im Duty-free-Bereich eines Flughafens einfing. Dieses unscheinbare Tier, zufällig gefangen, steht für Nishimatsu als Symbol unserer „hyper-globalen Existenz“, denn es lebt vom Blut unzähliger Menschen aus unterschiedlichen Ländern und Kulturen. Als Überträger von Krankheiten ist es gleichzeitig eines der gefährlichsten Tiere der Welt. Im Ausstellungsraum wird das winzige, leblose Tier, so klein, wie es ist, zum Memento Mori.

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